Oszillation zwischen Gruppe und Einzelnem

Hypnosystemik und Strukturaufstellungen - der diesjährige »Wieslocher Dialog«

Im Dialogseminar des Instituts für systemische Lösungen in Wiesloch wurde nach der wechselseitigen Befruchtung zweier systemisch-konstruktivistischer Verfahren gesucht. Birgitta M. Schulte beobachtete Prof. Dr. Matthias Varga von Kibéd und Dr. Gunther Schmidt.

Es geht um zwei Verfahren, die ursprünglich nur einem Feld verpflichtet waren. Strukturaufstellungen wurden von Virginia Satir und Jakob Levy Moreno zuerst für Gruppen entwickelt, während sich Hypnose und Psychoanalyse im individuellen Setting sahen. Nun arbeiten sowohl Matthias Varga von Kibéd mit der Gruppenmethode der »Systemischen Strukturaufstellung« als auch Gunther Schmidt mit seiner Einzelmethode der »Hypnosystemik« in beiden Feldern. Nicht ob das geht, sondern warum es gelingt, wird zur spannenden Frage.

Es muss nicht wirklich verwundern, dass die Gruppenmethode als Einzelarbeit funktioniert. Matthias Varga von Kibéd sucht sich Hilfsmittel wie Bodenanker und die kataleptische Hand, um mit der Einzelperson das Team zu simulieren. Gunther Schmidt lässt Einzelne wie Gruppe in gleicher Weise die anstehende Frage »tanzen«, nennt das »Systemchoreographie«, nicht etwa »Skulptur« oder »Aufstellung«. So funktioniert auch das für das Individuum Entworfene als Gruppenarbeit. Anregend sind eher die dahinterstehenden Modellvorstellungen. Es sind die Bilder vom Individuum als »multiplen Ichs« und vom »Gruppenkörper« als ‚Einheit.

»Friedemann Schulz von Thun macht Angebote von sehr fest gefügten Personen als Persönlichkeitsanteilen,« erläutert Matthias Varga von Kibéd. »Wir flexibilisieren.« Gunther Schmidt begibt sich gemeinsam mit Gruppe oder Einzelperson in den »koevolutionären Prozess« auf der Suche nach der jetzt gerade günstigen Erfahrungskonstruktion und stellt sich dabei die Frage: Welches von den fluktuierenden Ichs könnte jetzt das sein, das als Haupt-Ich in den Alltag eingehen könnte? Mit Rückgriff auf die Hirnforschung geht Gunther Schmidt davon aus, nicht Neues erschaffen zu können. Er will »Erinnerungshelfer« sein, zieldienliche Muster aus dem Episodengedächtnis aktivieren und koordinieren. Er bleibt damit auf der Ebene intuitiver Erfahrungswelten, im imaginativen Prozess, im Tagtraum. Auch wenn er mit der Gruppe arbeitet, baut er einen »rituellen Raum für das Ausprobieren«. Ein Wabern und Weben, ein Schwingen und Tanzen beginnt. Matthias Varga von Kibéd kommentiert, Schmidt komme ihm vor, als ob er mit einem auf verschiedene Einzelpersonen verteilten Individuum eine Milton Erickson-Therapie vornähme.

Der, der das tut, versteht sich selbst als »multiple Ichs«. Die verhalten sich unterschiedlich, auch zum Beispiel, wenn sich eine Hypothese aufdrängt und das Interpretieren nahe legt. »Ein Teil von mir ist fest verheiratet mit der Hypothese,« sagt Schmidt. »Der flirtet längst nicht mehr. Die Frage ist nur, wie kann ich diesen Teil wertschätzen, damit er nicht störend eingreift.«

Gunther Schmidt fragt sich: »Wer in der Einzelperson hört jetzt, was ich sage, am meisten?« und fragt gleichzeitig: »Von wem in mir hört die Klientin es am meisten?«

Matthias Varga von Kíbed, der Logiker, tanzt nicht. Er, der vor lauter Denklust und Assoziationswonne beständig überzulaufen scheint, bleibt in seiner Arbeit streng formal. Er leitet systematisches Probehandeln im formalisierten Verfahren an. Er hat Gunther Schmidt im Einzel- und auch Gruppensetting nicht nur beobachtet, sondern auch beschrieben, hat dessen Arbeit – notfalls durch eine Formel – verstehbar gemacht. Er erfährt nicht dasselbe vom Kollegen. Er muss die Differenzen selbst herausarbeiten. »Gunther verwendet einen symmetrischen Problembegriff, Problem und Lösung haben dasselbe Baumaterial. Ich verwende einen asymmetrischen Problembegriff: Wenn die Lösung kommt, verschwindet das Problem.«

Dann entsteht die friedliche Koexistenz der Ichs in der Person – vielleicht ja tatsächlich ein Teil der Friedensarbeit, auf die Jakob Levy Moreno abzielte.


Birgitta M. Schulte
Wiss. zertifizierte Coach in eigener Praxis
Frankfurt am Main